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Auf die Länge kommt es an
ExpressionMate XM-1

Auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten wurden die unterschiedlichsten Controller zur Klangsteuerung entwickelt: Tastaturen, Räder, Regler, Taster, Pedale, Breath-Controller und Bandmanuale, sogenannte Ribbons. Mit dem ExpressionMate stellt Kurzweil ein neues Exemplar dieser seltenen Controller-Gattung vor. Seine besonderen Merkmale: freie Konfigurierbarkeit und ein extra langes Bandmanual.
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11/99

Testbericht
XM-1


Zur Sounddemo XM-1
 

Nach der allzu frühen Vorankündigung auf der Frankfurter Musikmesse 1998 erblickt der ExpressionMate nun endlich das Licht des Markts: Im Oktober sollen die ersten Exemplare ausgeliefert werden. Und, soviel sei schon vorweg gesagt, wenn Sie sich nur ein bißchen kindliche Neugierde, unruhigen Forschergeist oder schlicht Spieltrieb bewahrt haben, dann sollten Sie sich ein Exemplar sichern: Denn Sie werden nicht der einzige sein, der sich in Zukunft gerne ab und an mal einen - pardon - wird reiben wollen.
 Woher diese voreilig erscheinende Begeisterung? Ganz einfach: Betrachtet man einmal gängige MIDI-Controller, sieht man entweder herkömmliche Tastaturen oder Schachteln mit mehr oder weniger vielen Dreh- und Schiebereglern. Die sind so bekannt wie der tägliche Weg zur Arbeit. Dagegen ist der ExpressionMate mit seinem 57 cm langen Reibestreifen ein Sprung ins Ungewisse: Man drückt mit einem Finger irgendwo auf den Ribbon und entlockt damit dem angeschlossenen Synthesizer einen Ton. Kleinste Fingerbewegungen lassen die Tonhöhe zittern und wimmern; große, schwungvolle Gesten führen zu großartigen Abstürzen oder Höhenflügen. Wer sich dem Gerät das erste Mal nähert, wird mit ihm wohl erstmal das allerunmöglichste Gejaule produzieren. Um den Ribbon aber nicht nur als Spielzeug einsetzen zu können, braucht man schon ein gehöriges Maß an Übung. So sind gezielte Tonhöhen mit ihm zu Beginn weniger leicht zu erzeugen.

So fern ...


Neu ist die Idee eines Bandmanuals zur Klangsteuerung jedoch nicht. Als Vorläufer kann bereits das 1928 von dem Franzosen Maurice Martenot entwickelte Ondes Martenot betrachtet werden. In der ersten Version dieses elektronischen Instruments war ein Seil über den Spieltisch gespannt, an dem eine Öse befestigt war. Durch das Hin- und Herschieben der Öse konnte die Tonhöhe verändert werden.
  Das erste Bandmanual im heutigen Sinne setzte Friedrich Trautwein 1930 in Berlin zur Tonsteuerung seines Trautoniums ein. Die Konstruktion besteht aus einem leitfähigen Draht, der über eine Metallplatte gespannt ist. Wird der Draht auf die Metallplatte gedrückt, schließt sich ein Regelkreis und ein Ton wird erzeugt. Seine Tonhöhe hängt von dem Ort ab, wo der Draht auf die Metallplatte gedrückt wird. Oskar Sala, Student von Trautwein, entwickelte diese Konstruktion in seinem Rundfunktrautonium (1935) und dem Mixturtrautonium (1952) weiter. Die Klänge werden dabei nicht mehr nur durch den Druckpunkt, sondern auch durch die Druckstärke gesteuert.

... und auch so nah


Nun war Salas enorm feinfühlige Konstruktion zur Druckmessung jedoch auch derart aufwendig, daß sie vorerst die einzige blieb. Weder die Ribbon-Controller 956/1150 des Moog Modulsystems Ende der 60er noch der sagenumwobene, samtbezogene Ribbon des Yamaha CS80 (1977) reagierten auf die Stärke des Drucks. Erst in jüngster Zeit erschienen wieder druckdynamische Ribbon-Controller wie beim Korg Prophecy (1995) und beim Kurzweil K2500X (1996). Doch entpuppten sich deren Druckdynamiken als derart grob aufgelöst, daß von einem feinfühligen Spiel nicht wirklich die Rede sein konnte.
 Der ExpressionMate, der auf Druckdynamik völlig verzichtet, zeichnet sich dadurch aus, daß er nicht mehr fest in einen Synthesizer integriert ist und somit frei zum Spiel eines MIDI-steuerbaren Instruments eingesetzt werden kann. Genauso frei lassen sich über eine Kontrollbox die Parameter zuordnen, die mit ihm gesteuert werden. Eine weitere Besonderheit ist seine Länge von über einem halben Meter, die ganz neue Spielweisen ermöglicht.

Rauf und runter


Technisch besteht das Bandmanual aus drei kleinen Ribbons, die jeweils unterschiedliche Aufgaben übernehmen können. So kann in der Three-Sections-Betriebsart zum Beispiel die linke Section zum Auslösen von Noten genutzt werden, die mittlere zur Steuerung der Filterfrequenz und die rechte zur Steuerung der Modulationsintensität.
Da diese drei Mini-Ribbons aber bündig aneinanderliegen und zudem von einer durchgehenden Haut überzogen sind, lassen sie sich in der One-Section-Betriebsart auch als ein großes Bandmanual spielen. Die Übergänge zwischen den drei Sections sind markiert und gut fühlbar. Auch wenn das Spielgefühl dadurch nicht wesentlich beeinträchtigt wird, ist die Positionsmessung an diesen Nahtstellen nicht so genau wie an anderen Stellen. So bleiben zarte Fingervibrati, exakt auf den Nahtstellen ausgeführt, nahezu wirkungslos. Das ist beim Stand der Technik wohl der Preis dafür, daß man das Bandmanual in drei unabhängige Sektionen unterteilen kann.

Alles unter Kontrolle


Mittler zwischen Ribbon und MIDI-Instrument ist ein kleiner Kontrollkasten, der es in sich hat: Auf der Oberfläche des Kontrollkastens befinden sich zwei frei belegbare Taster sowie zwei Anschlüsse für Fußtaster und -pedal, und als Krönung gibt es sogar eine Buchse für den Yamaha-Breath-Controller. Da der ExpressionMate zudem über zwei unabhängige MIDI-Interfaces verfügt, lag der Gedanke nahe, den kleinen Kasten zu einem vollwertigen

Spezialitäten
Pro Zone finden sich drei Fixed Controller, die jeweils einen einstellbaren Controller senden - wiederum mit getrennt einstellbaren Werten für das Anwählen und Verlassen eines Setups. Über diese Fixed Controller lassen sich beispielsweise MIDI Program Changes senden.
  Jede Zone bietet zudem noch drei MIDI Remap Controller. Mit diesen hilfreichen Geistern können MIDI-Controller wie Pitchbend oder Channel Pressure in Echtzeit in einen beliebigen anderen MIDI-Controller umgewandelt werden.
  Zu guter Letzt lassen sich pro Zone auch noch die Tastaturzone, Notentransponierung, Skalierung der Anschlagsdynamik und dergleichen
Spezialitäten
mehr einstellen. Damit entpuppt sich der ExpressionMate so ganz nebenbei als praktisch vollwertiger Masterkeyboard-Controller, dem neben der großzügigen Verwaltung eines reichen Parks von Spielhilfen und frei programmierbaren Arpeggiatoren auch eher exotische Spezialitäten wie das Umdrehen der Tastaturbelegung - die tiefen Töne liegen rechts, die hohen links - nicht fremd sind.
Sollte Ihnen angesichts all dieser Möglichkeiten einmal der Überblick verloren gehen, können Sie mit dem eingebauten MIDIscope ein- und ausgehende MIDI-Daten beäugen.
Jan-Hinnerk Helms


MIDI-Prozessor auszubauen. Und bei der Umsetzung dieses Vorhabens hat Kurzweil sich wahrhaftig nicht lumpen lassen: Der Kontrollkasten verfügt über drei Zones, denen jeweils ein MIDI-Port und -Kanal zugeordnet werden kann. In jeder Zone läßt sich jeder einzelnen Spielhilfe wie beispielsweise Ribbon, Breath-Controller oder Pedal ein Controller zuordnen. Unter Controller wird im Rahmen des Expressionmate entweder ein herkömmlicher MIDI-Controller verstanden, einer von sechs frei definierbaren MIDI-Strings oder aber interne, sogenannte Special Function Controller, die der ExpressionMate wiederum zur Steuerung seiner Funktionen verwenden kann. Das Remappen der Controller ist ebenfalls möglich. Außerdem hat jede Zone einen ausgefuchsten Arpeggiator, mit dem Rhythmuspatterns frei programmiert werden können. Zum Abspeichern aller Einstellungen stehen 64 Setups zur Verfügung.

ExpressionMate
Effektvoller Doppelpack: Bandmanual und Kontrollkasten des ExpressionMate XM-1

Mit Hilfe dieser zahlreichen Spielhilfen sind auch die abgefahrensten Anwendungen möglich. Nur ein Beispiel: Der Breath-Controller steuert die Anschlagsdynamik einer Note, die per Ribbon ausgelöst wird. Alle drei Arpeggiatoren werden mit einem Fußtaster aktiviert beziehungsweise deaktiviert. Das Fußpedal steuert gleichzeitig die Modulationsintensität in einem angeschlossenen Synthesizer und die Geschwindigkeit aller Arpeggiatoren.
Um das Verhalten der Controller ganz den persönlichen Vorlieben anpassen zu können, stehen für die kontinuierlichen Spielhilfen wie Breath-Controller und Ribbon umfangreiche Skalierungsoptionen zur Verfügung. Für diskontinuierliche Spielhilfen wie Fußtaster lassen sich die zu sendenden Daten getrennt für den Ein- und Ausschaltvorgang festlegen. Für jede Spielhilfe läßt sich schließlich einstellen, welchen Wert sie beim Anwählen und Verlassen eines Setups annehmen soll. So können unliebsame Überraschungen beim Wechsel zwischen Setups mit völlig verschiedenen Controller-Zuordnungen ausgeschlossen werden.

Kluger Kopf


Gedanken hat sich Kurzweil offensichtlich auch bei der Abfrage des Ribbons gemacht. So kann die Positionsmessung entweder relativ oder absolut erfolgen. Weiterhin läßt sich einstellen, ob der Ribbon nach dem Ende der Berührung auf einen vorher definierten Wert zurückspringt oder den zuletzt gemessenen Wert beibehält.
Besondere Bedeutung kommt den vom Bandmanual gesendeten Datentypen zu. Prinzipiell stehen hier die gleichen Controller wie für alle anderen kontinuierlichen Spielhilfen bereit. Sie können also vom Ribbon aus zum Beispiel Modulationsrad-Daten senden oder das Tempo der Arpeggiatoren steuern.
Eine ungewöhnliche Betriebsart ergibt sich bei einer geschickten Verknüpfung von Ribbon und Arpeggiator: Dann landen nämlich die auf einer angeschlossenen Tastatur gespielten Akkorde als Skala über mehrere Oktaven auf dem Ribbon und können wie auf einer Harfe gespielt werden.
  Interessant sind auch diejenigen Special Function Controller, die das Senden von Noten erlauben. Die Noten werden dabei in vom Werk vorprogrammierten oder frei definierbaren Skalen über den Ribbon verteilt. Das kann beispielsweise eine pentatonische Skala aus 37 Noten sein. Bei Verwendung solcher Skalen wird die stufenlose Auflösung des Ribbons natürlich auf die Noten der Skala quantisiert, wodurch Bewegungen des Fingers erst beim Erreichen der benachbarten Skalennote zu einer Tonhöhenänderung führt. Das ist nun erstmal kein besonderer Effekt, zumal er sich mit jeder Tastatur einfacher realisieren läßt. Idealerweise kann aber für die Abfrage des Ribbons ein weiterer Controller wie zum Beispiel Pitchbend eingestellt werden. Das bewirkt folgendes: Ein Druck auf den Ribbon löst eine Note anhand der Skala aus. Zudem bewirkt eine vom Berührungspunkt ausgehende Lageänderung des Spielfingers eine Veränderung der Tonhöhe. Das geschieht allerdings nur in einem Bereich von knapp zehn Zentimetern, so daß ein Pitchbend über die ganze Tonskala bei dieser Betriebsart leider nicht möglich ist. Trotzdem: Die Kombination aus definiertem Noteneinsatz und freier Tonhöhenverbiegung ist ein definitives Highlight des ExpressionMate.

Fazit


Der ExpressionMate ist grundsolide verarbeitet, die Bedienung selbst am Kontrollkästchen unkompliziert. Dazu tragen auch eine Vielzahl von Navigationshilfen bei, so daß Unmut über das kleine Display gar nicht erst aufkommt. Die deutsche Bedienungsanleitung ist hingegen ein sonderbares Machwerk: Eine ausführliche, aber wirre Faktensammlung, die dem Anfänger nicht eine einzige Hilfestellung zum Erstellen eigener Setups gibt. Hat man das Prinzip des Instruments erstmal verstanden, kann man aber auch über Learning by doing schnell Erfolgserlebnisse erzielen.
Bleibt die Beurteilung der eigentlichen Benutzeroberfläche, des Ribbon selbst: Er reagiert sensibel und ist höchst angenehm spielbar. Für ein möglichst reibungsloses Gleiten auf der Kunststoffhaut empfehlen sich allerdings trockene Finger.
Wer nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten sucht, hat mit dem ExpressionMate endlich einen Controller gefunden, mit dem durch eine außergewöhnliche Spielweise äußerst lebendige Klänge erzeugt werden können.

Jan-Hinnerk Helms

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